Wir wollten die überweideten Pferdekoppeln mit den Rindern regenerieren. Im Kleinanzeiger des “Schwäbischen Bauern” waren im Februar Highlands zum Verkauf ausgeschrieben worden und so starteten wir nach Ratzenried. Leider entsprach diese erste Begegnung mit Highland Züchtern ganz und gar nicht unseren Vorstellungen. Obwohl der Rinderbestand recht überschaubar war, konnte der Besitzer nicht genau sagen, wieviele Tiere sein Bestand aktuell zählt.
Und was noch viel schlimmer war, er wußte auch nicht, welche Kuh oder Färse von welchem Bullen tragend war. Sein kompletter Bestand lief nämlich in einer
Herde. Nachdem dann noch ein Jungbulle im Kampf mit einer älteren Kuh durch den Zaun gebrochen war und wir Gefahr liefen, überrannt zu werden, machten
wir uns auf und davon. Das gab uns dann erst einmal zu denken.
Einen Monat später besuchten wir Christine und Axel Baumann in Bad Geroldsau, die uns dann zeigten, wie man es richtig macht!
Nachdem wir im April unsere Weidefläche um zwei Hektar erweitetern konnten, zogen die beiden Kühe auf den Torwiesen ein. Die Tiere zogen uns in ihren Bann! Jede freie Minute verbrachten wir auf der Weide um ihr Vertrauen zu gewinnen, sie zu bürsten und führig zu machen.
Wir waren zwischenzeitlich dem Highland Cattle Fieber verfallen. Selbst aus meinem Lebensgefährten Andy, der anfänglich strikt gegen die Rinderzucht war, wurde mit der Zeit ein Highland-Cattle Züchter aus Leidenschaft.
Livia und Leila waren bereit Kälbchen zu bekommen. Alles war perfekt, die kleine Herde konnte nun wachsen. Im
März 2010 war es endlich soweit: zwei pechschwarze Mädels welche auf die Namen Lilly und Lucy hörten, kamen zur Welt und wir waren stolz! Und Wanko war damals ein total umgänglicher, handzahmer
Jungbulle, der seine täglichen Streicheleinheiten genoß. Das dauerte leider nur bis zum Herbst 2010 an. Eines schönen Tages rief mich Ute im Geschäft
an und berichtete mir:”Wanko hätte sie attackiert!” nur mit viel Mut und Glück konnte Sie einen Angriff abwehren. Abends passierte mir das selbe, aber ich war ja darauf vorbereitet. Was war
passiert? Wie kann sich ein Tier, welches Morgens noch total lieb und anhänglich war, einige Stunden später zu einer Bestie entwickeln? Es war, als hätte man in seinem Kopf einen Schalter
umgelegt. Wir, damals noch blutige Anfänger, suchten den Fehler bei uns.
Wir hatten die Herde kurz vor der ersten Attake auf eine neue Weide getrieben und überlegten, ob ihn das verunsichert hatte. Wir suchten Rat bei anderen
Züchtern. Die meisten hatten keine Erfahrung mit einem solchen Fall und gaben die tollsten Ratschläge, wie beispielsweise "lasst euch bloß nicht anmerken, dass ihr Angst habt". Leichter gesagt,
als getan! Wenn ein 100 Kilogramm schwerer Stier mit gesenkten Hörnern vor einem steht und mit den Hufen zu scharren beginnt, ist sicher keinem mehr so richtig wohl. Fazit: wir trieben die Herde
zurück auf die Hausweide. Von da ab schien Wanko wieder der liebe Bulle zu sein. Bei uns blieb die Unsicherheit.
Auf der Weide bewegten wir uns nur noch entlang der Zäune. Beim Bürsten der Kühe hatten wir immer den Bullen im Visier. “Würde er gefährlich werden?” Vier Wochen lang passierte nichts! Dann kam der Tag an dem ich mit der Schubkarre auf der Weide unterwegs war um den Unterstand auszumisten. Wanko stand friedlich an der Futterraufe, sah mich an und griff ohne Vorwarung an. Ich hatte Glück. Ich befand mich nur vier Meter entfernt vom Zaun und reagierte blitzschnell. Mit dem Kopf voraus, hechtete ich durch die Litzen und entkam damit den Hörnern des Bullen nur ganz knapp. Draußen in Sicherheit schnappte ich mein Handy und rief sofort den Metzger an.
Es gibt Tiere mit schlechten Charaktereigenschaften, obwohl Ihnen kein Mensch etwas zuleide getan hat. Vier Wochen lang begab wir uns - ähnliches hatte ich
auch schon bei Pferden erlebt - mit meinem Team in Lebensgefahr, um den Grund für das agressive Verhalten des Bullen zu ausfindig zu machen. Es hat sich nicht gelohnt. Es gibt soviele tolle
Bullen!